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Wie mir die Welt begegnet

Schwerer Eingriff in den Zugverkehr

 

Dampflok

Dampflok – ©️ by Schau.bar

Es war Anfang der 1970’er Jahre. Unsere Braunfelser Pfadfindergruppe vom Stamm Feuerreiter und jene vom Stamm Greif, Wetzlar hatten ein Sommerlager in La Roque-sur-Cèze bei Bagnols-sur-Cèze organisiert. Bagnols ist eine der zahlreichen Partnerstädte meiner Heimatstadt Braunfels.

Zum Lager wurde mit der Deutschen Bahn gereist. Die Zubringer erfolgten mit Bussen. Leider waren nur wenige von uns mit Kenntnissen in Französischer Sprache gesegnet. Auf der Heimfahrt im Bahnhof von Avignon stand unsere große Gruppe auf dem Bahnsteig und wartete auf den gebuchten Waggon. Es war uns eingebläut worden, dass zwei Züge in unsere Richtung und auf dem gleichen Gleis fahren würden – aber nur der zweite Zug sei für uns interessant. Dort war unser Waggon angehängt.

Die Ansagen der französischen Bahn im Bahnhof waren, wie in Bahnhöfen üblich, in schwer verständlicher Qualität. Es fuhr ein Zug in unser Gleis – aber wir sollten ja in den zweiten, etwas später kommenden Zug einsteigen. Wir ignorierten den Zug, der vor uns stand.

Da, plötzlich rief einer aus der Gruppe, dass der eingefahrene Zug unser Zug sei, der erste Zug hätte Verspätung.

Es brach Panik aus, denn wir wollten ja nach Hause. Es erstürmten also etwa 50 Jungen und Mädchen in Pfadfinder Kluft den Zug. Hauptsache irgendwie rein, was durch unser sperriges Gepäck aus Seesäcken und viel zu großen Rucksäcken schwer wurde. Im Waggon staute es sehr, weil auch normale Reisende unberechtigterweise im leeren Waggon waren, die waren im Weg.

Um Platz zu machen war ich ins WC gedrückt worden. Da, der Zug setzte sich in Bewegung, der Schaffner fand es wohl wichtiger, dass der Zug abfuhr, als alle Kinder einsteigen zu lassen, wir waren aber erst zu 50% komplett. Mit panischen Blicken, die ich sogar heute noch vor mir sehe, rannten unsere noch auf dem Bahnsteig stehenden Freunde, schreiend hinter dem Zug her.

Chaos pur, Schreie schallten durch den Waggon und der Ruf erschallte: „Halt doch jemand den Zug an!!!“

Keine Ahnung wieso, ich schoss spontan und ohne nachzudenken aus dem WC und schaffte es die Notbremse zu ziehen. Der Zug kreischte – die Bremsen und eine Warnpfeife randalierten. Ich fand mich da bereits im WC wieder und mir dämmerte, was ich getan hatte. Die fast verlustig gegangenen Freunde, die dem abfahrenden Zug nachgerannt waren, konnten jetzt auch noch entern, alle waren im Waggon. Große Erleichterung rundherum.

Mir ging die Düse, weil Notbremse ziehen ja streng verboten ist, auch im Franzosenland.

Der Herr Schaffner tauchte umgehend auf, erbost und forderte die Auslieferung des Sünders. Er hatte aber ein Problem, denn kein Mensch sprach oder verstand Französisch und gesehen hatte auch niemand etwas. Uff, ich war gerettet.

Das Hallo war natürlich groß, Schulter klopfen, lachen – ich war unbeabsichtigt ein Held, wenn auch mit „vollen Hosen“. Die weitere Fahrt haben wir dann besser organisiert.

Die Umsteigerei erfolgt in militärischer Ordnung. Stoß Kommando beim Halt sofort raus – den neuen Zug entern und Fenster aufreißen. Zwischen den Zügen, die glücklicherweise gegenüberstanden, eine Kette gebildet und das Gepäck aus dem Fenster und über den Bahnsteig zur zweiten Kette vor dem Ziel Zug geworfen, dort durch die offenen Fenster zu den Freunden in den neuen Zug. Ruck zuck und zum Staunen der auf dem Bahnsteig wartenden Fahrgäste. In kürzester Zeit war der Umstieg absolviert.

Eine kleine Episode an die wir heute beim Austausch von Erinnerungen gerne zurückdenken. Wir können – heute – darüber herzlich lachen.

Ich habe nie wieder eine Notbremse angefasst und hoffe, dass meine Untat nach 50 Jahren verjährt ist.

 

 

 

 

 

 

 

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